Nicht einmal 300 Meter Luftlinie nördlich des Campus Westend auf der anderen Seite der Miquelallee werden in der Carl-von Weinberg-Siedlung dutzende Wohnungen, teilweise seit Jahren, leerstehen gelassen, bei anderen bröckelt der Putz von den Wänden. Was steckt dahinter? Warum werden die Wohnungen nicht vermietet und warum ist der Zustand der Gebäude so auffallend schlecht? Diesen und weiteren Fragen sind Stadt für Alle mit ca. 20 Teilnehmer:innen bei einem kritischen Rundgang am 24.06.2022 auf den Grund gegangen.
Gemeinsam mit Studierenden der Goethe Universität, Mieter:innen aus der Siedlung, interessierten Aktivist:innen sowie dem Institut für Humangeographie sind wir angeleitet von einem langjährigen und aktiven Mieter am Freitagnachmittag 2h durch die Carl-von-Weinberg-Siedlung gelaufen. Der Mieter hat uns berichtet von der Geschichte der Siedlung als Arbeiter:innen-Siedlung für Höchst AG Mitarbeiter:innen, von der Privatisierung der Siedlung an die Deutsche Bank in den 1990ern und dem sich dann anschließenden zunehmenden Verfall der Wohngebäude. Während des Rundgang haben wir diskutiert über die Unklarheiten und die widersprüchliche Kommunikation zu anstehenden Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten sowie die schleppende Behebung von Mängeln durch die Eigentümerin Deutsche Wohnen/ Vonovia. Außerdem hat uns der Mieter die leerstehenden Wohnungen gezeigt: Ganze 80 Wohnungen seien es aktuell (Stand 19.06.22), so der Mieter. Erst am Dienstagabend, 21.06.22, habe nach vielen Monaten des Wartens die Begehung der Siedlung mit dem Ortsbeirat stattgefunden. Das zahlreiche Erscheinen von Mieter:innen hat die Dringlichkeit der Forderungen abermals bestätigt (siehe https://www.fr.de/frankfurt/westend-ort904351/frust-in-der-carl-von-weinberg-siedlung-91625042.html#:~:text=Mieterinnen%20und%20Mieter%20der%20Carl,Das%20plant%20auch%20das%20Unternehmen )
Was ist die Carl von Weinberg Siedlung?
Bei der Siedlung handelt es sich um ehemaligen Arbeiter*innen-Wohnungen der Höchst AG, die in den 1930er Jahren als Teil des Bauprogramms „Neues Frankfurt“ errichtet wurden. Baustadtrat Ernst May entwickelte in den 1920ern dieses umfassende Stadtentwicklungs- und Wohnungsbau-Programm für Frankfurt, um durch den Bau von zahlreichen Siedlungen im gesamten Stadtgebiet den großen Wohnungsbedarf zu decken. Die soziale Ausrichtung des Programms ist dabei ein entscheidendes Kriterium gewesen. Neben zahlreichen weiteren Gebieten wurde auch im nördlichen Westend ein Areal für Wohnungsbau ausgewiesen, auf dem in der Zeit von 1930 bis 1934 von der Wohnungsbaugesellschaft ABG die Carl-von-Weinberg-Siedlung, damals noch “Siedlung Miquelallee“, mit Mitteln des Sozialen Wohnungsbaus errichtet wurde.
Heute gehören die Wohnungen dem Konzern Deutsche Wohnen, der seit Jahren und vor allem durch die Proteste und Kampagne „Deutsche Wohnen und Co enteignen!“ in Berlin sehr bekannt geworden ist. Seit der Fusion in 2021 der Deutsche Wohnen mit Vonovia gehören dem größten deutschen Immobilienkonzern in Frankfurt ca. 21000 Wohnungen, deutschlandweit sind es knapp 500.000. In vielen der Frankfurter Siedlungen, unter anderem in Westhausen, im Gallus, in der Mörfelder Landstraße in Sachsenhausen, aber auch im Westend sind die Mieter*innen der Vonovia bzw. Deutsche Wohnen konfrontiert mit steigenden Mieten, jahrelangen Baustellen, Modernisierungsarbeiten, einer unerreichbaren Vermieterin – und das in oft prekären Wohnsituationen. Die Vermieterin und auch die Stadt interessiert das herzlich wenig. Deshalb organisieren sich Mieter*innen seit vergangenem Jahr unterstützt durch solidarische Aktivist:innen selbst und machen auf ihre Situation aufmerksam. Das unterstützt Stadt für alle und hat deshalb zum Besuch in der Siedlung eingeladen, um auf die Situation vor Ort aufmerksam zu machen und den Protest der Mieter:innen zu unterstützen. Mitte Juli schon soll nun eine Mieter:innen-Versammlung stattfinden, um die nächsten Schritte zu besprechen.
Eindrücke vom Rundgang am 24.6.2022